Bußgeldverfahren – Ist die Herausgabe der gesamten Messreihe bei einem Geschwindigkeitsverstoß wichtig?

von | Feb. 19, 2025 | Verkehrsmesstechnik

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Die Messreihe ist ein essenzielles Element für die Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit amtlicher Verkehrsüberwachungen. Insbesondere bei Geschwindigkeitsmessungen oder Abstandsmessungen bietet die vollständige Analyse aller erfassten Falldatensätze die Möglichkeit, Fehlerquellen zu identifizieren und die Plausibilität der Messergebnisse zu bewerten.

Trotz ihrer technischen Relevanz wird die Herausgabe der vollständigen Messreihe durch einige Behörden verweigert, häufig unter Berufung auf Datenschutzgründe oder die vermeintliche Irrelevanz für das jeweilige Verfahren. Sachverständige und Gutachter hingegen benötigen diese Daten, um eine fundierte technische Prüfung durchzuführen.

In diesem Beitrag wird die technische Bedeutung der Messreihe erläutert, mögliche Fehlerquellen dargestellt und gezeigt, warum eine vollständige Auswertung für eine sachgerechte Begutachtung notwendig ist.

Was ist die Messreihe?

Die Messreihe umfasst alle Messvorgänge innerhalb eines bestimmten Zeitraums, die mit einem Verkehrsüberwachungsgerät erfasst wurden. Sie besteht aus mehreren Falldatensätzen, die folgende Informationen enthalten:

  • Zeitstempel der erfassten Fahrzeuge
  • Gemessene Geschwindigkeiten der jeweiligen Fahrzeuge
  • Fahrzeugklassifikation (z. B. Pkw, Lkw)
  • Metadaten zur Messstelle, einschließlich Standort- und verfahrensspezifischer Parameter
  • Erfassungsbilder oder Messfotos, je nach Gerätetyp

Da die meisten modernen Verkehrsüberwachungsgeräte keine Rohmessdaten abspeichern, sondern nur die finalen Messwerte in die Falldateien übernehmen, ist die Messreihe oft die einzige Möglichkeit zur nachträglichen technischen Überprüfung.

Technische Relevanz der Messreihe für die Messwertprüfung

Überprüfung der Gerätestabilität und Einfluss äußerer Faktoren

Moderne Messsysteme wie der PoliScan FM1 oder das TraffiStar S350 nutzen LIDAR- bzw. PSS- (Photo-Sensor-Signal)-basierte Messverfahren. Eine korrekte Funktion setzt voraus, dass das Messgerät während des gesamten Betriebs stabil bleibt.

Analyse durch Überlagerung der Messbilder:

  • Bei fast allen Messgerätetypen kann durch die Überlagerung der Messbilder überprüft werden, ob sich das Messgerät oder die Kamera während des Betriebs bewegt hat.
  • Falls statische Objekte im Bildbereich unscharf erscheinen oder leicht versetzt dargestellt werden, kann dies auf eine Verschiebung der Geräteposition hinweisen.

Mögliche Ursachen für eine unbemerkte Veränderung der Gerätekonfiguration:

  • Bodenabsenkungen oder Erschütterungen durch starken Verkehr
  • Unbeabsichtigtes Verstellen während der Bedienung
  • Witterungseinflüsse (z. B. starke Windböen)

Eine solche Veränderung kann dazu führen, dass sich die Erfassungswinkel und Messbereiche verschieben, was systematische Messabweichungen verursacht.

Analyse durch Überlagerung der Messbilder aus der Messreihe
Abbildung: Beispiel einer Bildüberlagung der Messreihe mit Einwirkung auf das Messgerät – Fixe Objekte mit Unschärfe

Fahrzeugpositionierung und Streuung der Messwerte

Ein weiteres zentrales Element der Messreihenanalyse ist die Untersuchung der Fahrzeugpositionen innerhalb des Erfassungsbereichs.

  • Bestimmte Messgeräte, darunter PoliScan FM1, speichern keine exakten Rohmessdaten der Lasermessung.
  • Die Position der Fahrzeuge kann nur anhand der erfassten Falldatensätze rekonstruiert werden.
  • Durch den Vergleich der ersten und letzten Messpositionen innerhalb der Messreihe kann die typische Streuung der Erfassungen überprüft werden.

Mögliche Auffälligkeiten:

  • Unregelmäßige Abweichungen der Fahrzeugpositionen innerhalb des Erfassungsbereichs
  • Diskrepanzen zwischen den Messwerten und den erwarteten Positionen basierend auf dem Messverfahren
  • Fehlende Fahrzeugerfassungen, die auf Messlücken hinweisen
Auswertung der Messreihe, Identifikation von Blindstellen (Anomalien)
Abbildung: Auswertung der Messreihe, Identifikation von Blindstellen (Anomalien)
Auswertung der Messreihe, mit einer typischen Streuung bei korrekter Inbetriebnahme
Abbildung: Auswertung der Messreihe, mit einer typischen Streuung bei korrekter Inbetriebnahme

Zweck der vollständigen Messreihenanalyse

Identifikation von Hindernissen und Störungen im Messbereich

Ein häufiger Grund für fehlerhafte Messergebnisse sind physische Hindernisse, die sich im Messfeld befinden.

Typische Ursachen:

  • Verkehrszeichen oder Laternenmasten im Erfassungsbereich
  • Vegetation (z. B. überhängende Äste oder Sträucher)
  • Baustellen oder temporäre Absperrungen
  • Leitplanken

Diese können zu falschen Messwerten oder Messausfällen führen, die nur durch die Analyse der gesamten Messreihe sichtbar werden.

Ein Beispiel:

  • Wird eine größere Anzahl von Fahrzeugen nicht oder nur teilweise erfasst, obwohl dichter Verkehr herrschte, deutet dies auf eine mögliche blinde Stelle innerhalb des Messbereichs hin.

Nachweis einer fehlerhaften Aufstellung des Messgeräts

Eine falsche Positionierung oder Neigung des Messgeräts kann sich auf sämtliche erfassten Fahrzeuge auswirken.

Typische Fehlerquellen:

  • Abweichender Schwenkwinkel des Messgeräts
  • Verdeckte Sensoren oder Laserstrahlen durch umstehende Objekte
  • Messbereichsüberschreitungen aufgrund nicht normgerechter Platzierung

Beispiel:
Ein falsch ausgerichteter PoliScan FM1 kann dazu führen, dass Fahrzeuge in einem zu großen oder zu kleinen Bereich erfasst werden. Eine Überprüfung der Messreihe kann diese Abweichung erkennen.

Statistikbasierte Plausibilitätskontrolle

Durch die Analyse der Statistikdatei (XML-Daten) lassen sich weitere Auffälligkeiten in den Messwerten identifizieren.

Mögliche Auswertungen:

  1. Vergleich der Gesamtzahl der erfassten Fahrzeuge mit den dokumentierten Verkehrsströmen
  2. Erstellung eines Histogramms der Geschwindigkeitsverteilung zur Erkennung von Unregelmäßigkeiten
  3. Berechnung des 85. Perzentils (V85) zur Überprüfung, ob die erfassten Geschwindigkeiten dem erwarteten Verkehrsverhalten entsprechen
Histogramm aller erfassten Fahrzeuge, Auswertung der Messreihe (Poliscan FM1)
Abbildung: Histogramm aller erfassten Fahrzeuge, Auswertung der Messreihe (Poliscan FM1)

Unterschiedliche Rechtsauffassungen zur Herausgabe der Messreihe

Während Sachverständige die Messreihe als essenziell für eine umfassende Überprüfung ansehen, lehnen einige Behörden die Herausgabe ab:

„Die Daten einer Messreihe belegen allein, dass noch weitere Personen mit demselben Gerät während eines bestimmten Zeitraums gemessen wurden. Des Weiteren muss auch eine Abwägung darüber getroffen werden, ob bei der Einsicht in die Messreihe nicht auch noch andere rechtliche Gründe, die den Schutz der davon betroffenen Dritten regeln, insbesondere Belange des Datenschutzes, der Herausgabe der kompletten Messreihe entgegenstehen.“

„… ist eindeutig geklärt, dass etwaige Messdaten anderer Geschwindigkeitsverstöße für die Beweiserhebung einer ordnungsgemäßen einzelnen Messung unerheblich sind. Die Messreihe ist dementsprechend grundsätzlich weder unmittelbares noch mittelbares Beweismittel im Verfahren.“

„Hinsichtlich der Hinzuziehung der kompletten Bilderstrecke der Messung wird auf die geltende obergerichtliche Rechtsprechung verwiesen, etwa des OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.07.15, IV-2 RBs 63/15, OLG Frankfurt vom 26.08.2016 (AZ: 2 Ss-OWi 589/16), des Bayerischen Obersten Landesgerichtes vom 04.01.2021 (AZ: 202 ObOWi 1532/20, SVR 2021, 279).“

Die Annahmen sind teilweise falsch und entsprechen nicht den technischen Fakten. Selbiges gilt für die von den Behörden aufgeführten Urteile, die die messtechnische Relevanz der Messreihe unzureichend berücksichtigen.

Hier können Sie nachlesen, wie wir das gängige Messgerät PoliScan FM1 von VITRONIC auf mögliche Messfehler überprüfen:

🔗 PoliScan FM1 Messfehler analysieren

Oder erfahren Sie hier mehr über die Prüfung des TraffiStar S350 von JENOPTIK:

🔗 TraffiStar S350 Messfehler untersuchen

Warum die Messreihe für technische Gutachten unverzichtbar ist

Die vollständige Messreihe ist die einzige Möglichkeit, um Messfehler, systematische Abweichungen und Unregelmäßigkeiten in amtlichen Verkehrsmesungen zu identifizieren. Ohne die vollständigen Falldatensätze sind plausibilitätsbezogene Prüfungen nicht durchführbar, was die Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit einer Messung erheblich einschränkt.

Besonders problematisch ist, dass eine korrekte Inbetriebnahme eines Messgeräts nachträglich nur schwer überprüfbar ist. Die einzelnen Schritte der Gerätekonfiguration, die Positionierung sowie die Einhaltung der Vorgaben aus der Gebrauchsanweisung sind oft nicht vollständig dokumentiert. Durch die Messreihenauswertung lassen sich jedoch Fehler aufdecken, die bei der Betrachtung eines einzelnen Falldatensatzes unbemerkt bleiben würden.

Während einige Behörden argumentieren, dass die Messreihe für die Beweiserhebung einer einzelnen Messung unerheblich sei und datenschutzrechtliche Bedenken bestünden, zeigen technische Analysen, dass die vollständige Messreihe essenziell für eine umfassende Bewertung der Korrektheit einer Messung ist.

Dennoch stützen sich einige Behörden auf eine unzureichende oder fehlerhafte Interpretation der technischen Rahmenbedingungen sowie auf obergerichtliche Entscheidungen, die die messtechnische Relevanz der Messreihe nicht angemessen berücksichtigen.

Fakt ist: Eine sachgerechte Überprüfung von Verkehrsmesungen erfordert eine vollständige Analyse aller erhobenen Daten. Nur so lassen sich mögliche Fehlerquellen, Unstimmigkeiten in der Messwertbildung oder fehlerhafte Geräteeinstellungen zweifelsfrei nachweisen.e technische Analyse, dass nur durch eine vollständige Auswertung Messfehler und Unregelmäßigkeiten erkannt werden können.

Individuelle Fallprüfung und Gutachtenerstellung

Sie sind als Anwalt oder Anwältin für einen Mandanten tätig, dem eine Geschwindigkeitsüberschreitung oder ein Unterschreiten des Mindestabstands vorgeworfen wird? Oder sind Sie selbst betroffen und möchten wissen, ob die Messung korrekt durchgeführt wurde?

In solchen Fällen ist eine Überprüfung durch einen unabhängigen Sachverständigen ratsam. Eine detaillierte Analyse kann mögliche Messfehler aufdecken oder prüfen, ob der vorgeworfene Geschwindigkeitswert bzw. Abstandswert technisch belegbar ist.

Wir bieten Ihnen eine fundierte Fallprüfung mit umfassender Videoforensik, um die Plausibilität der behördlichen Messung zu bewerten. Insbesondere wenn Ihnen ein Fahrverbot oder Punkte in Flensburg drohen, sollten Sie die Möglichkeiten einer fachgerechten Überprüfung in Betracht ziehen.

In der Regel wird unsere Arbeit durch die Rechtsschutzversicherung übernommen. Kontaktieren Sie uns gerne für eine individuelle Beratung und technische Prüfung Ihres Falls:

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Über den Author
M.Sc. Caner Aygün

M.Sc. Caner Aygün

Ingenieur und Sachverständiger für Verkehrsmesstechnik

Seit meiner Studienzeit beschäftige ich mich intensiv mit Messmethoden und -verfahren. Seit 2022 bin ich als Sachverständiger für Verkehrsmesstechnik tätig und erstelle Gutachten für Anwälte und Gerichte.

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